Chronische Beschwerden

Chronische Beschwerden treten auf, wenn Beschwerden länger als ca. 3 Monate andauern und keine eindeutige erklärende körperliche Ursache (mehr) gefunden wird. Bei chronischen Schmerzen scheint der Schmerz seine ursprüngliche Warnfunktion verloren zu haben und ein Eigenleben zu führen. Dann ergeben sich eine Reihe zusätzlicher Probleme. Der Ansatz wird komplexer.

Das biopsychosoziale Modell

Um einen Einblick in das Geschehen zu erhalten, wird das biopsychosoziale Modell verwendet. Im Gegensatz zum medizinischen Modell, bei dem nur nach körperlichen Ursachen der Beschwerden gesucht wird, geht das biopsychosoziale Modell weiter: 

A-Bio: Es gibt (noch) körperliche Faktoren, die bei der Aufrechterhaltung von Beschwerden eine wichtige Rolle spielen. Beispiel 1: Jemand mit Diabetes hat die Wundheilung verzögert, so dass die Beschwerden nach einem Unfall länger anhalten können. Beispiel 2: Jemand, bei dem mehrere Wirbelsäulenwirbel operativ fixiert sind, hat eine höhere Belastung der benachbarten Wirbel, wodurch sie überlastet werden können. Beispiel 3: Ein Athlet, der trotz Anzeichen von Übertraining weitermacht, erholt sich nicht mehr von den (normalen) Schäden, die er in seiner Sportart erlitten hat. 

B-Psycho: Wie jemand ist und mit den Beschwerden (= Verhalten) umgeht, kann entscheidend für die Aufrechterhaltung von Beschwerden sein. Beispiel 4: Jemand hat Rückenschmerzen und hat Angst, den Rücken zu bewegen, weil er denkt, dass das schädlich ist. Das Ergebnis ist jedoch, dass letztendlich der Rücken weniger belastet werden kann, was die Person anfälliger macht und früher Beschwerden unter Last entwickelt. Beispiel 5: Jemand mit starken Schmerzen wird versuchen, den Schmerz zu vermeiden, indem er sich bewegt (= ein anderes Verhalten annimmt). Das ursprüngliche Problem tritt in den Hintergrund und wird nicht behoben. Je länger diese Anpassungen andauern, desto mehr steckt es in der Person selbst fest und desto schwieriger wird es, dies rückgängig zu machen. Beispiel 6: Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass Menschen mit einer ausgeprägten perfektionistischen Einstellung und/oder sehr sensibel auf Stresssituationen leichter chronische Beschwerden entwickeln als andere. 

C-sozial: Der Gesamtkontext, in den die Person gestellt wird, kann ein aufrechterhaltender Faktor für die Beschwerden sein. Beispiel 7: Wenn jemand längere Zeit nicht mehr an sozialen Aktivitäten wie Arbeit, Sport oder Meetings teilnehmen kann, dann wird er oder sie isolierter, dann gibt es weniger Ablenkung und dann gibt es weniger Anreiz, aktiv zu bleiben. Beispiel 8: Langfristige Beschwerden können auch zur Kündigung führen, so dass es keine Initiativen mehr gibt, um die Situation zu ändern. Beispiel 9: Auf der Suche nach Besserung kann die Person von Therapeut zu Therapeut gehen, wo verschiedene Erklärungen für die Beschwerden weitergegeben werden, viel gebastelt wird, viele zusätzliche Untersuchungen durchgeführt werden. Die Aufmerksamkeit kann dann zu sehr auf die Beschwerden selbst und eine mögliche körperliche Ursache gerichtet sein (Sie sehen, es wird etwas gefunden...). 

Die Rolle des Gedächtnisses

Das Gehirn verändert sich Jedes Ereignis, das ein Mensch erlebt, wird in seinem Gedächtnis gespeichert. Auch der erlebte Schmerz wird gerettet. Wenn in der Zukunft etwas an diesen Schmerz erinnert, kann man ihn wieder spüren. Die Aktivität dieses Teils des Gedächtnisses kann stärker werden, wenn derselbe Schmerz häufiger auftritt oder wenn er länger dauert wie bei chronischen Schmerzen. 

Wenn "Schmerz"-Reize häufiger, stärker oder über einen längeren Zeitraum empfangen werden, werden die Gehirnschaltkreise für Schmerzempfinden und Schmerzempfinden stärker aktiviert und gestrafft, so dass es so aussieht, als würde der Schmerz ein Eigenleben führen. Es entsteht eine Form der Überempfindlichkeit. 

Sensibilisierung und Überempfindlichkeit: das Rückenmark verändert sich

Abgesehen davon, dass sich das Gehirn bei Schmerzen verändert, verändert sich auch das Nervensystem im Rückenmark durch kontinuierliche Stimulation. Die Nervenzellen, die die "Schmerz"-Reize empfangen, werden empfindlicher, wenn die Reize heftiger, häufiger und über einen längeren Zeitraum eintreffen. Infolgedessen kann ein normaler Reiz letztendlich zu einer schmerzhaften Erfahrung werden. 

Therapie

Es wird klar sein, dass die Herangehensweise an chronische Schmerzbeschwerden komplex sein kann. Lösungen sind nicht für alle oben genannten Prozesse bekannt. Die Behandlung chronischer Beschwerden erfordert aufgrund der Vielzahl von Faktoren, die eine Rolle spielen, einen multidisziplinären Ansatz. Das bedeutet, dass verschiedene Leistungserbringer hinzugezogen werden können, wie z. B. ein Rehabilitationsarzt, ein Ergonom, ein Physiotherapeut, ein Psychologe, ein Sozialarbeiter usw. Leider gibt es keine ausgereiften Therapien zur Veränderung des Gedächtnisses und der Sensibilisierung. Die Rolle von Medikamenten scheint begrenzt, aber oft notwendig zu sein. 

In der Praxis für die muskuloskelettale Medizin bleibt die körperliche Untersuchung wichtig, auch bei chronischen Beschwerden. Auf der einen Seite kann es immer noch physikalische Faktoren geben, die ein erhaltender Faktor sein können. Andererseits können bei guter Prüfung auch Faktoren ausgeschlossen werden. Darüber hinaus wird auch bewertet und ggf. signalisiert, dass wichtige Themen in psychosozialen Belangen eine Rolle spielen. Die Behandlung dieser Faktoren gehört jedoch nicht in den Kompetenzbereich der Praxis. 

 

 

Referenzen

Engel GL. The need for a new medical model. Science 1977 (196), 129-136.
LaMotte RH, et al. Neurogenic hyperalgesia: psychophysical studies of underlying mechanisms. J Neurophysiol 1991;66:190-211.
Wilgen CP van, Keizer D. Het sensitisatiemodel: een methode om een patiënt uit te leggen wat chronische pijn is. Ned Tijdschr Geneeskd. 2004;148:2535-8.